Wir schauten Fußball und genossen unsere Jugend. Wir registrierten Ungerechtigkeiten und diskutierten sie. Sie waren Anlass einer Beschäftigung, vielleicht eines intellektuellen Messens, auch des Austauschs, akademischer Art. Aber: Wir taten nichts. Freilich. Wir gingen demonstrieren. Für den Frieden, gegen den Irak-Krieg.
Wir registrierten die Umweltzerstörung. Wir wussten um die Auswirkungen unserer Lebensweise. Wir verstanden, dass das Klima sich verändern wird und wir hatten eine klare Einstellung dazu. Aber: Wir taten nichts. Freilich, wir kauften Klopapier mit dem blauen Engel ausgezeichnet. Schulhefte aus Recyclingpapier.
Wir sahen zu, als die Arten verschwanden. Wir konnten es an den Motorhauben der PKWs oder am Ausbleiben des Rüttelflugs der Feldlärche erkennen. Uns fiel hier und da noch auf, dass ein Bruder, eine Schwester fehlte. Wir verstanden, was dies für unsere Zukunft bedeuten würde. Aber: Wir taten nichts! Freilich bauten wir Vogelhäuser und retteten Bienen und Amphibien aus unseren Schwimmmbädern, versuchten unter Lebensgefahr der Wanderkröte mit dem Auto auszuweichen.
Wir kannten die Alternativen, es gab technische Möglichkeiten. Wir lebten in noch nie da gewesenem Wohlstand und hatten großes Potenzial, vieles dafür geben zu können uns zu retten, aber: Wir taten es nicht.
Einige sahen keinen Anlass etwas zu tun. Andere wollten nichts tun. Viele konnten nichts tun. Manche durften nichts tun.
Und ganz wenige,
taten und taten,
aber veränderten damit
nichts –
Entscheidendes.
Wir taten nichts auch nur annähernd Angemessenes. Schauten fett und saturiert, abgelenkt und eingespannt, abgehetzt und überfordert diesem Treiben, den grauenvollen Taten in den Festtagsgewändern der Werbebanner und des dekadenten Luxustreibens um uns herum zu. Wir wussten, dass wir Teil des Problems sind, dachten, das System müsse dies in die Hand nehmen, werde Lösungen generieren. Der Einzelne könne hier doch nichts bewegen und – wir schlussfolgerten am Ende des Tages erschöpft: Nichts zu tun. Freilich, wir diskutierten die Zustände. Sahen die Zukunft unserer Kinder klar vor Augen, stellten uns innerlich bereits auf den Notfall ein und überlegten, wie wir wenigstens unsere eigene Haut retten könnten.
Wir schauten zu und staunten über diese Blödheit. Manche entwickelten Wut, andere sogar Mut und Zivilcourage, aber selbst die! veränderten nichts – auch nur annähernd in der Weise wie es hätte geschehen müssen.
Und so wurden wir, obwohl bestens im Bilde und dazu gut ausgebildet, zum Zuschauer unseres eigenen Untergangs.
Wir taten nichts als die Böden austrockneten, die Wälder abfackelten, die Meere über die Ufer traten, die Stürme uns heimsuchten und über uns hinwegfegten. Dies sahen wir, aber wir fühlten es nicht und deshalb taten wir nichts.
Erst als wir durch das eigene Erleben fühlten, was all dies bedeutete, begannen wir zu handeln. Für vieles zu spät und:
Bei allem, was hier durch und mit uns geschieht und allem was wir dafür, damit oder dagegen tun, frage ich mich immer wieder: Tut das überhaupt was? Ist dieses Tun angesichts der Zustände überhaupt auch nur annähernd angemessen? Sind diese Taten im Schatten der Geschehnisse überhaupt noch als Tat zu bezeichnen?
Mich hat ein Zitat inspiriert, welches mir eine Möglichkeit aufzeigt, der gefühlten Ohnmacht zu entfliehen. Erich Kästner schrieb: „Wir müssen unseren Teil der Verantwortung für das, was geschieht, und für das, was unterbleibt, aus der öffentlichen Hand in die eigenen Hände zurücknehmen.“
Die Bedeutung dieses Satzes sickert allmählich durch… Es ist einerseits ganz klar der Aufruf dazu, die Tat selbst zu sein! Aber auch ist es ein Fingerzeig auf ein Versagen der Institutionen, der öffentlichen Hand und wichtiger noch, – diese Botschaft des Satzes: Ein Versagen der öffentlichen Hand entbindet uns jedoch nicht davon, Verantwortung zu übernehmen. Wir haben und tragen die Verantwortung, auch für das, was unterbleibt, also nicht getan wird, für unsere Untaten oder unsere gewaltige, lautschreiende Untätigkeit und Tatenlosigkeit! Wir können und dürfen uns doch nicht stumm, wie auf Rolltreppen (nach Urs M. Fiechtner) durch die Weltgeschichte karren lassen. Wir sind doch Teil dieser Geschichte, also fangen wir doch an den Teil davon zu schreiben, der uns zusteht!
Lasst uns mit klarem Blick ehrliche Ziele verfolgen. Lasst uns nach den Sternen navigieren, auch wenn wir sie nie erreichen werden. Lasst uns unbeirrt unseren Fixstern verfolgen. Lasst uns klar sein, was dies heißt. Lasst uns schwachsinnige Bürokratie boykottieren, lasst uns die Hände schmutzig machen, lasst uns Fehler machen, Umwege gehen. Das Kind der Tat ist der Fehler! Die Dekadenz der Demokratie ist die einseitig theoretische Durchdringung von Sachverhalten! Die Pedanterie ihre schlimmste Ausprägung! Und diese Dekadenz führt zur selbst verschuldeten Unmündigkeit der Bürger (nach Kant: Was ist Aufklärung), zur Abschaffung der Demokratie!
Der Irrglaube, den Einzelfall um der Gerechtigkeit Willen allgemeingültig regeln zu können oder gar zu müssen, ist ihre Anmaßung. Das Versagen der Bürokratie, die an ihren eigenen Regeln zu ersticken droht, ist eine Folge des moralischen Versagens der Bürger. Deshalb: Seid gerecht gegen Euch und Euren Nächsten, sagt immer die Wahrheit, achtet auf diejenigen und jenes, die Euch ermöglichen, für alles andere haben wir keine Zeit. Und: Wahlversprechen. Lasst uns nie ein Wahlversprechen sein. Lasst uns regieren. Regiert. Seid die Tat. Steht auf, hört auf Euer Herz und kämpft wie ein gefallener Engel!
